Onslows Kompositionen ins rechte Licht gerückt (2024)

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Mit dem heutigen Modevokabular könnten wir George Onslow als Komponisten mit Migrationshintergrund bezeichnen. Sein Vater war Brite, doch wuchs er in Frankreich auf und erhielt seine musikalische Ausbildung zu großen Teilen in Deutschland. Selbst ausgewiesenen Kammermusikliebhabern ist er heute oft nur dem Namen nach bekannt.

Von Uwe Friedrich | 27.05.2007

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    Das Frankfurter Ensemble Concertant hat sich schon länger um das Schaffen George Onslows verdient gemacht und bereits zwei seiner Streichquartette aufgenommen. Jetzt erschien bei Dabringhaus und Grimm eine neue Aufnahme seines Klavierquintetts op. 79bis und des Klaviersextetts op. 30. Diese rundum gelungene Aufnahme von viel zu selten gespielter Musik möchte ich Ihnen heute vorstellen. Am Mikrofon begrüßt Sie Uwe Friedrich.

    Musikbeispiel: George Onslow - 1. Satz: Introduzione. Largo – Allegro vivace (Ausschnitt) aus: Klaviersextett op. 30

    George Onslow war der Enkel des ersten Earl of Onslow und hätte ein künstlerisch unauffälliges Leben als Mitglied der britischen Oberklasse führen können. Doch sein Vater Edward Onslow war in einen Aufsehen erregenden Skandal verwickelt und flüchtete nach Frankreich. Dort heiratete er standesgemäß Marie-Rosalie de Bourdeilles de Brantôme und wurde im Juli 1784 stolzer Vater von André George Louis, dem es materiell an nichts fehlen sollte. Der begabte Knabe studierte unter anderem bei Dussek in Hamburg und wahrscheinlich auch in der Heimat seiner Ahnen, in England Klavier und begann früh zu komponieren.

    Während seine Opern jedoch nie besonders populär wurden, erfreute sich seine Kammermusik großer Beliebtheit, vor allem in Deutschland. Die Verlagshäuser Kistner und Breitkopf & Härtel überboten einander damals gegenseitig, um seine Werke verlegen zu dürfen. Das Klaviersextett op. 30 stammt aus seiner produktivsten Zeit in 1820er Jahren, als er in seinen Kompositionen den Ausgleich suchte zwischen dem, wenn man so will, deutschen Stil des gleichberechtigten Musizierens der verschiedenen Stimmen und dem eher virtuosen Bravourstil der französischen Salons.

    Musikbeispiel: George Onslow - 2. Satz: Minuetto. Allegro (Ausschnitt) aus: Klaviersextett op. 30

    In Onslows Klaviersextett ist der Schock von Beethovens späten Streichquartetten noch deutlich spürbar. Mit unerhörten harmonischen Kühnheiten und einer Form, die sich um akademische Gattungsbegriffe überhaupt nicht mehr kümmerte, hatte Beethoven die Musikwelt verwirrt. Zeitgenossen hielten ihn schlicht für verrückt. Bei Onslow wich dieser Schock jedoch bald einer tiefen Faszination. Beethovens rücksichtsloser Wagemut öffnete auch für Onslow die Türen zu neuen Räumen, und so weisen dessen beste Kompositionen bereits in eine Richtung, die später ein Johannes Brahms einschlagen sollte. Zu dieser Zeit, in den 1830er, 1840er Jahren, gehörte Onslow zu den führenden Komponisten Frankreichs, wurde Nachfolger Cherubinis an der Académie des Beaux Arts, war Mitgründer der Association des Artistes Musicales und stellte seine vierte Symphonie auf dem Niederrheinischen Musikfest in Köln vor.

    Onslows Kammermusikwerke stellen höchste Anforderungen an die Musiker, vor allem an den Pianisten, für enthusiastische Amateure sind sie kaum zu bewältigen. Der Pianist Gianluca Luisi und das Ensemble Concertant Frankfurt stellen sich der Herausforderung mit eleganter Virtuosität. Obwohl Onslow stellenweise beinahe ein Klavierkonzert mit reduzierter Streicherbegleitung geschrieben hat, widersteht Luisi der Versuchung, sich auftrumpfend in den Vordergrund zu spielen. Gemeinsam mit den fünf Streichern erkundet er lustvoll die Musikwelt des Pariser Salons, die hier allerdings unter starkem deutschen Einfluss steht.

    Dabei ist Onslows Ton durchaus originell und eigenwillig. Auch wenn die ungewöhnliche Instrumentation seines Klavierquintetts op. 79bis mit Kontrabass an Schuberts "Forellenquintett" erinnert, ist seine Tonsprache doch ganz anders als die des Wieners. Der Klavierpart überragt die Stimmen der Mitspieler in keinem Takt, auch die anderen Instrumente dürfen mit Sprüngen und Arpeggien immer wieder ihre Virtuosität unter Beweis stellen.

    Musikbeispiel: George Onslow - 2. Satz: Scherzo. Vivace (Ausschnitt) aus: Klavierquintett op. 79bis

    Seit 1987 pflegt das Ensemble Concertant Frankfurt in wechselnden Besetzungen vorzugsweise die unbekannte Kammermusik. Darin spielen Musiker des Sinfonieorchesters des Hessischen Rundfunks. Hier widmen sie sich auch der kleinen Form. Nachdem das Ensemble für seine Aufnahme von Onslows Streichquartetten beste Kritiken bekam, haben die Streicher nun mit Gianluca Luisi einen jungen italienischen Pianisten hinzu engagiert, um nun auch die größer besetzte Kammermusik für das Label Dabringhaus und Grimm einzuspielen. Die Aufnahme entstand im vergangenen Jahr in der Fürstlichen Reithalle von Bad Arolsen, dem bevorzugten Produktionsort des Aufnahmeteams von Dabringhaus und Grimm. Auch diesmal wird eine angenehme Balance erreicht zwischen warm weiträumigem Klang und musikalischer Transparenz. Das passt wunderbar zur Ästhetik der Musiker. Das Ensemble Concertant Frankfurt versucht gar nicht erst, Onslows Kompositionen künstlich zu dramatisieren, sondern setzt ganz schlicht ihre Stärken ins rechte Licht.

    Musikbeispiel: George Onslow - 4. Satz: Finale. Allegretto (Ausschnitt) aus: Klavierquintett op. 79bis

    Das Ensemble Concertant Frankfurt hat gemeinsam mit dem Pianisten Gialuca Luisi das Klavierquintett op. 79bis und das Klaviersextett op. 30 von George Onslow eingespielt. Die Aufnahme ist beim Label Dabringhaus und Grimm erschienen. Mit dieser Empfehlung verabschiedet sich Uwe Friedrich und wünscht Ihnen noch einen angenehmen Sonntag.

    Titel: George Onslow: Klaviersextett op. 30 und Klavierquintett op. 79bis
    Ensemble: Concertante Frankfurt
    Gianluca Luisi, Klavier
    Label: Dabringhaus und Grimm
    Labelcode: LC 06768
    Bestell-Nr.: MDG 603 1442-2

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